TAVI bei schwerer Aortenstenose – für welche Patienten geeignet?


Die Aortenstenose – eine tödliche Erkrankung!

Seit den 1960iger Jahren ist bekannt, dass die schwere Verengung der Aortenklappe, die sogenannte Aortenstenose, eine Erkrankung ist, die von dem Moment an, wo sie Beschwerden verursacht, unbehandelt innert 3-5 Jahren zum Tod führt. Auch bekannt ist, dass die chirurgische Behandlung, der Aortenklappenersatz, eine hochwirksame Therapie darstellt, die nicht nur die Beschwerden zum Verschwinden bringt, sondern auch die Lebenserwartung praktisch normalisiert. Umfragen in Europa haben gezeigt, dass zwischen 30% bis zu 60% der Patienten mit Aortenstenose trotzdem nicht behandelt werden. Woran liegt das? Die Umfragen zeigten, dass in einem Drittel der Patient selbst eine Behandlung ablehnte, in einem Drittel der Kardiologe eine Behandlung nicht empfahl, in 9% verschiedene andere Gründe vorhanden waren und dass in 20% der Herzchirurg eine Behandlung ablehnte.
Mit Einführung der weniger invasiven Methode der Katheter-gestützten Aortenklappenprothesen-Implantation (engl. TAVI: Transcatheter Aortic Valve Implantation) wurde eine Möglichkeit geschaffen, bei Patienten, die aufgrund eines zu erwartenden erhöhten Risikos für eine konventionelle chirurgische Aortenklappenersatz-Operation (AKE) vorher nicht behandelt worden wären, die Aortenstenose risikoärmer doch zu behandeln. Diese neue Methode wurde denn auch für ihren Einsatz bei sogenannten Hochrisikopatienten auf ihre Sicherheit und Wirksamkeit im Vergleich zur AKE untersucht. In der PARTNER Studie wurden Patienten, von denen ein erhöhtes Operationsrisiko anhand etablierter Risikoabschätzungsmethoden, sogenannter Skoresystemen, angenommen wurde, nach dem Zufallsprinzip entweder der AKE, oder der TAVI zugeteilt und entsprechend behandelt. Es zeigte sich – aktuell liegen Verlaufsresultate nach 3 Jahren vor – dass beide Methoden das gleiche Mortalitätsrisiko haben, sowohl unmittelbar um die Behandlung als auch in den ersten 3 Jahren danach. Patienten nach AKE wiesen jedoch ein erhöhtes Risiko für Blutungen und Herzrhythmusstörungen auf. Patienten nach TAVI haben hingegen ein deutlich erhöhtes Risiko von Hirnschlägen, vom Bedarf für einen Herzschrittmacher, von Gefässproblemen und von Klappenlecks. Weitergehende Untersuchungen zeigten, dass bei TAVI bei praktisch allen Patienten Gewebe-, Blutgerinnsel- und Kalkpartikel ins Gehirn gelangen und bei immerhin 5.5% einen nachweisbaren Hirnschlag verursachen. Gefässprobleme, aber v.a. Klappenlecks mit Blutrückfluss neben der Klappenprothese zurück ins Herz, sogenannte paravalvuläre Lecks, zeigten bei weiteren Untersuchungen einen stark negativen Einfluss auf die Überlebenszeit der betroffenen Patienten, indem doppelt so viele Patienten mit mittelschwerem bis schwerem Leck nach 3 Jahren verstorben waren (60.8%) als ohne Leck (35.3%). Gegenüber einer medikamentösen Therapie oder nur einer Klappensprengung mittels Ballon war die TAVI deutlich vorteilhafter, überlebten innert der ersten 3 Jahre doch nur 19% der Patienten ohne TAVI oder AKE, während nach TAVI 45% nach 3 Jahren noch am Leben waren.
Sowohl AKE als auch TAVI führen bei den meisten Patienten zu deutlicher Linderung der Herzbeschwerden. Patienten erholen sich nach TAVI etwas schneller, nach 6 Monaten ist allerdings kein Unterschied mehr zu Patienten nach AKE feststellbar.


Wer ist ein Hochrisikopatient?

TAVI sollte Hochrisikopatienten vorbehalten bleiben, Patienten mit normalem Risiko sollte eine AKE empfohlen werden. Nur, wie definiert sich ein hohes Risiko? Hierzu werden Risikoskores zu Hilfe genommen, am gebräuchlichsten sind der europäische EuroScore und der nordamerikanische STS-Score. Generell wird ein EuroScore von über 20 – gleichbedeutend mit einem prognostizierten Risiko von 20%, während und innert den ersten 30 Tagen nach der Operation an deren Folgen zu versterben - und ein STS-Score von über 10 als hochriskant definiert. Wie jede Prognose ist die Anwendung dieser Skores mit Unsicherheiten behaftet. Vom EuroScore weiss man, dass er das Risiko teilweise massiv überschätzt, während der STS-Score etwas zuverlässiger ist. Beide weisen jedoch entscheidende Mängel auf, indem gerade bei älteren Patienten, die für eine TAVI evaluiert werden, häufig vorkommende Bedingungen unberücksichtigt bleiben, die erheblichen Einfluss auf das Ergebnis haben können. So werden Gebrechlichkeit, Porzellanaorta, Zustand nach Bestrahlung, schlechter Ernährungszustand, und Auszehrung nicht berücksichtigt. Gerade das Vorhandensein von Gebrechlichkeit, die durchaus mittels einfacher Tests (zB durch 5m Test) quantifiziert werden kann, hat sich als zusätzlicher, von den Skoresystemen unabhängiger risikosteigernden Faktor erwiesen. Miteinbezug der Gebrechlichkeit verbessert deshalb wesentlich die Qualität der Risikoeinschätzung.
Andrerseits ist fortgeschrittenes Alter per se bei gutem Allgemeinzustand keine Hochrisikosituation. Aktuelle Resultate von Untersuchungen bei über 80jährigen Patienten bei AKE (Di Eusanio 2011) zeigen denn auch eine sehr akzeptable Sterberate von lediglich 3.7% bei einem durchschnittlichen prognostizierten Sterberisiko von 13%! Das Alter allein hat sich dabei nicht als entscheidender risikosteigernder Faktor herausgestellt.

Diese für herzchirurgische Eingriffe entwickelte Skoresysteme sollten auch nicht für eine prognostische Aussage bei TAVI verwendet werden, denn dafür sind sie gar nicht validiert!


Als Hochrisikopatienten einer TAVI zugeführt werden sollten demnach nach heutigem Wissensstand Patienten mit folgenden Bedingungen:

Schwere Aortenstenose mit Beschwerden und:
Hohes Alter (>80y)
Gebrechlichkeit
Zu erwartendes erhöhtes Risiko für eine AKE (EuroScore >20)
Degenerierte Bioprothese
Zustand nach aortokoronarer Bypassoperation
Zustände, die eine AKE technisch sehr schwierig machen:
Porzellanaorta
Nach Brustkorbbestrahlungen
Bei grossflächigen Narben nach Verbrennungen
Bei Brustkorbdeformitäten
Bei schweren Begleiterkrankungen: Leber-, Lungenerkrankungen, Demenz


Ungeeignet für TAVI sind Patienten mit folgenden Konditionen:

Bikuspide Aortenklappe
Reine Aorteninsuffizienz
Sehr kleine Aortenwurzel, sehr grosse Aortenwurzel
Zusätzlich relevante Herzerkrankung (zB schwere Mitralklappenerkrankung)
Bei stark verkürzter Lebenserwartung

Patienten mit niedrigem Risiko: Aortenklappenersatz chirurgisch


Merke:
1. Der Goldstandard der Behandlung der schweren Aortenstenose bleibt der chirurgische Aortenklappenersatz.
2. TAVI soll sich auf Hochrisikopatienten beschränken.
3. Höheres Alter allein ist kein Risiko.
4. Zusätzlich berücksichtigte Faktoren wie Gebrechlichkeit können die Risikoeinschätzung massgeblich verbessern.
5. Eine Reoperation ist nicht per se eine Hochrisikosituation.
6. Die Wahl der Behandlung soll in einem interdisziplinären Herzteam stattfinden – bevorzugen Sie deshalb ein Zentrum, wo Kardiologen und Herzchirurgen eng zusammenarbeiten!


Aortenstenose

Bild einer schwer verkalkten und verengten Aortenklappe bei Aortenstenose


Aortenstenose natürliches Überleben

Überlebenskurve bei schwerer Aortenstenose


Anteil no AVR

Anteil von Patienten mit schwerer AS: Unbehandelte (rot) und Behandelte (gelb)


Gründe der Ablehnung für Aortenklappenersatz

Verantwortliche für Nichtbehandlung bei schwerer AS


PartnerTrial_survival

PARTNER Studie: Zuteilung zu TAVI oder AKE nach Zufall


Partner Trial Survival 3y

PARTNER Studie: Sterberaten in den ersten 3 Jahren 


Partner Trial Symptom relief

PARTNER Studie: Verbesserung der Beschwerden


Gebrechlichkeit Frailty

Tests zur Messung von Gebrechlichkeit (Frailty), Zusatzerkrankungen (Comorbidity) und Behinderungsgrad (Disability)


DiEusanio kontemporäre AKE Resultate

Di Eusanio: Überlebensrate nach AKE bei >80jährigen Patienten (gerader Strich: Überlebensrate der Gleichaltrigen)